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[ U-Bahn-Archiv / U-Bahn-Geschichte(n) / Biographien / Alfred Grenander]

Entwurf für das Paul Riebeck-Stift in Halle a. S.

Centralblatt der Bauverwaltung, 14. Jahrgang, Heft 16 (21. April 1894), S. 161-163.


Ueber den Wettbewerb zur Erlangung von Plänen für die Riebeck-Stiftung in Halle a. S. ist an dieser Stelle im Jahrg. 1893, S. 143, 302 und 305 eingehend berichtet worden. Es wurde dort u. a. auch des zum Preise von 600 Mark angekauften Entwurfes der Architekten Spalding u. Grenander in Berlin gedacht und dessen durchschlagende künstlerische Verdienste hervorgehoben. Der Entwurf war vom Preisgericht damals von der Ertheilung eines Preises wegen gewisser Mängel im Grundriss ausgeschlossen worden, unter denen namentlich der hervorgehoben worden war, daß das Geschäftszimemr des Inspectors, das zugleich als Sitzungszimmer des Verwaltungsrathes dienen sollte, nur eine lichte Höhe von 2,70 m hatte und dass ein Theil des Gebäudes um ein halbes Geschoss höher war, als die Bedingungen vorschrieben. Dem gegenüber wurde aber gleichzeitig eine Reihe von Vortheilen erwähnt, so namentlich die Klarheit und Knappheit des Grundrisses, die Anlage eines Wirtschaftshofes, das malerische Gesamtbild und vor allem die „charakteristische Architektur von hohem Kunstwerth“, die über die Werthschätzung der Vorzüge des Entwurfes von Seiten der Preisrichter keinen Zweifel liessen. So entschloss sich denn auch die Stadt Halle, nachdem, wie gewöhnlich, ein unmittelbar verwendbarer Entwurf aus dem Preisausschreiben nicht hervorgegangen war, zu einem engeren Wettbewerbe unter den Gewinnern des ersten Preises, den Architekten Schreiterer u. Below und den Verfassern des in Rede stehenden Entwurfes, indem sie diese veranlasste, gegen eine Entschädigung von 500 Mark eine Neubearbeitung ihrer Pläne nach den Wünschen den Stadt vorzunehmen. Aus diesem Wettbewerbe, in welchem ein Preis nicht ertheilt wurde, gingen die Architekten Spalding u. Grenander insofern als Sieger hervor, als die Stadt Halle sich entschloss, die nunmehr umgearbeiteten Pläne der Ausführung des Baues zu Grunde zu legen. Es dürfte daher an der Zeit sein, unsere Berichte über diese Angelegenheit durch Mittheilung das Spalding-Grenanderschen Entwurfes zu ergänzen.

Alfred Grenander, Riebeck-Stift (Halle/Saale), Westansicht
Abb. 1. Westansicht.

Alfred Grenander, Riebeck-Stift (Halle/Saale), Speise- und Versammlungssaal
Abb. 2. Inneres des Speise- und Versammlungssaales.

Die Umarbeitung der Verfasser hat sich nicht allein auf die Beseitigung der vom Preisgericht gerügten Mängel erstreckt, auch die künstlerische Durchbildung des Entwurfes hat sich in vielen Punkten gegenüber dem ersten Entwurfe noch wesentlich reizvoller gestaltet, so namentlich in der Ausbildung der Ansicht nach der Lutherstrasse. Die Baugruppe des grossen Giebels mit dem Haupteingange, der linksseitig anschliessenden Capelle und dem rechts abseits liegenden Pförtnerhäuschen bildet ein ausserordentlich anziehendes Architekturbild von höchst eigenartiger Erscheinung. Das in Abb. 4 mitgetheilte Schaubild lässt diese Ansicht leider nur sehr verkürzt erscheinen. Sie giebt aber ein gutes Bild von dem wohldurchdachten Gegensatze, der in der Schlichtheit des die Zimmer der Pfleglinge enthaltenen Ostflügels (vergl. den Grundriss Abb. 3) und dem gesteigerten Reichthume der Zugangsseite und der Capelle ausgesprochen ist. Die in Abb. 1 mitgetheilte Westseite, die nach dem weithin thalabwärts sich erstreckenden Stiftspark liegt, hat sich gegenüber dem ersten Entwurfe wenig verändert. Sie zeigt die im Aeusseren trefflich zur Wirkung gebrachten Gedanken der Haupttreppen und der geräumigen, sich breit auf den Garten erschliessenden Hallen, die die reizende Aussicht in das nahe Saalethal vermitteln. Wie sich die Architekten die Ausbildung der Innenräume gedacht haben, davon giebt die Abb. 2, die den über dem Haupteingange und den anstossenden Räumen liegenden Speise- und Versammlungssaal darstellt, wenigstens eine flüchtige Vorstellung. Die ganze Anlage in ihrer ungesuchten und doch reizvollen Gliederung dürfte jetzt eine Lösung der gestellten Aufgabe vorstellen, wie sie nicht gut besser zu erreichen gewesen wäre, zumal da auch alle Ansprüche in Bezug auf die Anordnung, Lage und Verbindung der Räume in dem jetzigen Grundrisse in einwandfreiester Weise befriedigt sind. Es sind helle Vorhallen, Gänge und offene Hallen in genügender Grösse vorhanden, die Zimmer der Pfleglinge liegen ausnahmslos nach Osten und Süden, die Nordseite bleibt für Wohnzwecke unbenutzt, die Krankenabtheilung ist von dem übrigen gehörig abgetrennt und der Betsaal, der auch von Stadtbesuchern benutzt werden soll, liegt bequem am Eingange. Dabei trägt die Architektur mit ihrer vorwiegend der belgischen Uebergangszeit aus der Gothik zur Renaissance entnommenen Formensprache ein höchst reizvolles, eigenartiges Gepräge, sodass der Bau, wenn er im Geiste der Urheber ausgeführt würde, sicherlich der Stadt Halle zur hohen Zierde gereichen würde.

Alfred Grenander, Riebeck-Stift (Halle/Saale), Grundriß Erdgeschoß
Abb. 3. Grundriss vom Erdgeschoss.

Alfred Grenander, Riebeck-Stift (Halle/Saale), Nord-Ost-Ansicht
Abb. 4. Nord-Ost-Ansicht.

Leider aber hat die Stadt davon abgesehen, die Architekten mit der weiteren Ausarbeitung ihrer Gedanken zu betrauen, vielmehr dem Vernehmen nach die Ausführung selbst in die Hand genommen. Auch wenn man den Schein der geistigen Ausbeutung des Künstlers, der einem solchen Vorgehen leicht anhaften wird, nicht gelten lassen will, so ist es mit Rücksicht auf die Sache selbst zu beklagen, dass das Verständnis des Publicums für architektonische Dinge auch hier noch als so weit zurück sich gezeigt hat, dass man meinte, ein im Massstabe 1:150 gezeichneter Entwurf könne ohne weiteres von einem anderen „ausgearbeitet“ werden. Auch der beste Architekt wird, selbst angenommen, dass er die Absicht hätte, dem Verfasser gerecht zu werden, etwas anderes aus dem Entwurfe machen, als seine Urheber im Geiste trugen, weil es einfach unmöglich ist, angedeutete Kunstgedanken eines anderen in dessen Sinne weiter zu empfinden, um so unmöglicher, je bedeutender der „Ausarbeiter“ selbst als Künstler ist, weil er dann um so selbständiger empfinden wird. Aber auch in anderer Beziehung ist die Geschichte dieses Entwurfes herreich. Es ist bereits oben gesagt, dass die Gewinner des ersten Preises und die Architekten des hier mitgetheilten Entwurfes gegen eine Entschädigung von 500 Mark zu einem engeren Wettbewerbe aufgefordert wurden. In der wohl von jedem Unbefangenen getheilten Annahme, dass es sich darum handelte, nunmehr zu bestimmen, welchem von beiden Bewerbern die Ausführung zu übertragen sei, unterzogen sie sich der Mühe einer vollständigen Neubearbeitung ihrer Entwürfe. Nachträglich stellte sich jedoch heraus, dass man sich dieses Mittels nur zur Erlangung brauchbarer Entwürfe für die Selbstausführung bedient hatte. Auf diese Weise ist es möglich geworden, das die Architekten des nunmehr zur Ausführung angenommenen Entwurfes für die gesamte Mühe der Bearbeitung zweier Entwürfe diesen Umfanges — es handelt sich um etwa 20 Blatt Zeichnungen — mit zusammen 1100 Mark entschädigt worden sind. Ein Gesuch um eine weitere Vergütung wurde von den Stadtverordneten abschlägig beschieden, sie hielten offenbar die Arbeit damit für hinreichend bezahlt, vielleicht auch glaubten sie durch gehörige Auszahlung der Preise des Wettbewerbes ihren Verpflichtungen in dieser Angelegenheit nachgekommen zu sein. Sie dürften hiermit jedoch im Unrecht sein, denn wenn die Arbeit der Ausführung würdig erachtet werden konnte, so hätte sie sinngemäß auch einen Preis erhalten müssen, was nicht geschehen ist. Aber wenn auch das Vorgehen rechtlich nicht anfechtbar ist, so dürfte es dem Urtheil der Oeffentlichkeit kaum Stand halten können. Den wettbewerbenden Architekten aber möge die Angelegenheit als warnendes Beispiel zur steten Beobachtung von Vorsicht mitgetheilt sein.

M.

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