Hans Schliepmann: Die Berliner Hochbahn als Kunstwerk
Berliner Architekturwelt, 4. Jahrgang, Heft 9 (Dezember 1901), S. 302-311 und Heft 10 (Januar 1902), S. 339-348
Federzeichnung von Diedrich Franke. Mittelteil des Geländers an der Ueberführung der Hochbahn über die Potsdamerstrasse. Architekt: Bruno Möring in Berlin. |
Dass es sich bei der „Berliner Hoch- und Untergrundbahn“ um die grossartigste Unternehmung in Berlin innerhalb des letzten Jahrzehnts handelt, um eine Anlage, die auf weite Strecken der Reichshauptstadt ein vollständig neues Gepräge giebt, können selbst diejenigen nicht leugnen, die sich über die Unrentabilität des ganzen Gedankens, die Entwertung langer Häuserzeilen und die Schimpfierung zahlloser Strassenbilder in allen Tonarten entrüstet haben. Die Unternehmer haben gegen jene Unzufriedenen das Weiseste gethan, was sie thun konnten: Sie hörten die Vorwürfe aufmerksam an, liessen geduldig die blossen „Leute“ sich — ausschimpfen und beherzigten die Vorstellungen der Verständigen.
Wie es in unseren Zeiten der übermächtigen Geldherrschaft kaum anders möglich war, stand die ganze Planung der Anlage anfangs ausschliesslich unter der Herrschaft des Prinzipes: Nur praktisch, nur billig: das errechnet nun, Ihr Herren Ingenieure! — Und so begann man das Werk: nur keinen Nietkopf, kein Octavblatt-grosses Lamellchen etwa der Aesthetik zuliebe über die Rechnung hinaus angebracht! Das wäre — unwissenschaftlich!
Bahnhof der Hochbahn „Schlesisches Thor“. Architekten: Grisebach & Dinklage in Berlin. |
Bahnhof der Hochbahn „Hallesches Thor“. Architekten: Solf & Wichards in Berlin. |
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Pfeiler der Hochbahn. |
Architekt: Alfred Grenander in Berlin. | | Architekten: Cremer & Wolffenstein in Berlin. | | Architekt: Bruno Möhring in Berlin. |
Aber als diese errechneten Skelette sich nun erhoben, als man sie — etwas unpolitisch, muss man sagen — gar monatelang in ihrem branstigen Menniganstrich schaffotartig die guten Berliner „anärgern“ liess, da erhob sich ein so lebhafter und nachdrücklicher Einspruch gegen die Vernachlässigung der künstlerischen Erscheinung selbst von den beachtenswertesten Stellen, dass etwas wie ein Wunder geschah: die einzig auf Rentabilität begründete Gesellschaft opferte freiwillig eine sehr erhebliche Summe lediglich der ästhetischen Ausgestaltung des Unternehmens und ging mitten in der Arbeit daran, künstlerisch zu retten, was noch zu retten war. —
Fertiggestellt in allenm wesentlichen, was über der Erde von der Hochbahn zu sehen sein wird, steht jetzt die Anlage der kritischen Betrachtung frei. Mehr und mehr sind die Nörgler verstummt. Man beginnt den schattigen und regenfreien Weg unter dem Viadukt gar nicht so übel zu finden, siehr ein, dass höchstens für die beiden Untergeschosse der Häuser an der Hochbahn die Aussicht — ach, meist eine Aussicht auf grässlich nüchterne oder verschönerte „Mietskästen!“ — eingeschränkt worden, dass das Geräusch aber geringer als bei einer gewöhnlichen Strassenbahn sein wird und dass im übrigen der ganzen Anlage ein gewisses „Interessante“ nicht wohl mehr abgesprochen werden könne.
Ja, und ich gehe weiter und behaupte: wer den Pulsschlag dder Zeit zu fühlen vermag und offenes Auges unsere bauliche Entwicklung verfolgt, dem muss es klar sein, dass hier ein Werk vorliegt, das trotz zahlreicher und schwerer — Jugendfehler einen Markstein in jener Entwicklung, einen treffenden und glänzenden Ausdruck der Gegenwart bildet.
Aehnlich wie seiner zeit die Aufgaben bei Errichtung der Stadtbahn zu ganz neuen und epochalen baulichen Lösungen geführt haben, ist nunmehr an der Hochbahn eine Fortentwicklung der Eisenbaukunst erkennbar, die zweifelllos von der ganzen Kulturwelt wird studiert und beherzigt werden müssen — um so mehr, als die verschiedenen Strecken der Hochbahn einen grossen Teil des Werdegangs dieser keimenden Kunst verraten.
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Aufgang zum Bahnhof der Hochbahn „Nollendorfplatz“. Architekten: Cremer & Wolffenstein in Berlin. |
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Aufgang zum Bahnhof der Hochbahn „Potsdamerstrasse“. Architekten: Bruno Möhring in Berlin. |
Gleich am Ausgangspunkt der Bahn, an der Warschauerbrücke, trifft diese Kunst mit einer anderen in einem ästhetischen Konflikt zusammen, der vielleicht die schreiendste Dissonanz und zugleich doch das treueste Bild unserer Zeitrichtungen ist, das sich in Berlin finden lässt: unmittelbar an die Brücke, die die reichste und wirksamste Schlussdekoration Berlin spreeaufwärts bildet, schliesst sich der Bahnhof der Hochbahn, schmuckloseste matter-of-fact-Arbeit, eine Leistung blosser, aber doch auch zwingender moderner Logik, an. Hier ganz und gar äusserliche, archaistische Kunst, die mit der Gegenwart nur insofern zu thun hat, als sie auch „Zeichen der Zeit“ ist, insofern neun Zehntel unserer Architekten im Bauen ein äusserliches Bekleiden von notwendigen Dingen mit Zierformen irgend einer Vergangenheitsepoche shen, eine Art Schneiderkunst, nach den Gesetzen der Mode betrieben, aber hier doch auch eine Kunst, die — als Theaterdekoration — unleugbar ihren Zauber hat, so reich und „echt“ und zeichnerisch reizvoll hingesetzt, dass sie den Laien zum begeisterten Schwärmer für mittelalterlichen Backsteinbau machen kann; dort ein Gebilde, dem noch fast alles fehlt, was es erst zur „Kunst“ machen würde, nämlich der Anschein eines Organismus, bei dem die Konflikte der einzelnen Teile zum Ausgleich gekommen sind. Man betrachte in letzter Beziehung namentlich die mangelnde Umrissvermittelung zwischen den Trägerauflagern und den Sandsteinpfeilern, deren versuchte architektonische Gliederung die Disharmonie nur noch unerträglicher macht und dem ganzen Stützenwerk im Verhältnis zur Halle den Eindruck eines Provisoriums giebt.
Es ist klar, dass ein so greller Missklang zwischen beiden Bauwerken vermieden worden wäre, wenn von vornherein der Künstler mitgesprochen hätte; der Kontrast wird für alle Zeiten eine Art Pasquill auf das Auseinanderfallen unserer baulichen Bestrebungen bleiben; aber trotz allem: die grössere innere Berechtigung und damit der Keim zu einer Zukunft liegt bei dem — „hässlicheren“ Gebäude. Das wird man um so deutlicher empfinden, je mehr man sich an die Eisenbauten und ihren eigenartigen Organismus gewöhnt hat, und gerade hierin ist ja der Hochbahn eine Mission erwachsen. Nur freilich: zur Höhe eines Organismus müssen sich diese Bauten allerdings erst erheben, bis sie ins Gebiet der Kunst hineinragen! Es braucht kein verwickelter zu sein; aber nirgends darf der Eindruck des Zusammengeleimten, Beschnittenen, Einheitslosen erweckt werden.
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Pfeiler der Hochbahn. |
Architekt: Bruno Möhring in Berlin. |
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Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
So wirken z. B. die ganz schmucklos gebliebenen Zwischenbahnhöfe von einfacher Kofferform mit ihren Treppenbauten in ihrer Selbstverständlichkeit als Ganzes durchaus befriedigend. Erst bei der Betrachtung der Einzelheiten der Tragekonstruktion stellt sich ein gewisses berechtigtes Missbehagen ein, einmal, weil dem Auge aus den kreuz und quer perspektivisch durcheinander laufenden Linien des Stabwerkes die einheitliche statische Idee der Hauptkonstruktion nicht anschaulich offenbar wird — man vergleiche nur, wieviel befriedigender da die Blechträger einzelner Strassenunterführungen wirken —; das andere Mal, weil die unterschiedlichen Gurtlamellen, Knotenbleche, Nietköpfe zwar dem Exempel des Ingenieurs vollkommen entsprechen, aber doch dem Unbefangenen den Eindruck einer knauserigen und ungefügen Flickarbeit machen. Diese Feinheiten der Einzelbeanspruchungen werden dem Auge nie als Vernunft unmittelbar einleuchten, und Richard Lucaes hübsches Wort wird daher noch immer seine Gültigkeit haben, dass der Ingenieur nicht auch alle Nebenausrechnungen neben dem grossen Hauptexempel dem Publikum vor Augen stellen müsse.
Gerade in letzterer Beziehung aber sind höchst interessante Fortschritte während der Arbeit wahrnehmbar. Das starre Stützenpaar mit Querbalken und Kopfbändern wird da — an den Strassenunterführungen am „Bahnhof Schlesisches Thor“ und nahe der Lutherkirche zum Beispiel — in ein einheitliches Gebilde mit cirviertem oberen Abschluss verwandelt, das wirklich sinnfällig seine statische Funktion wie sein Material ausspricht; auch ordnen sich Niete und Laschen bereits derart, dass sie als Dekoration wirken, so dass die Notwendigkeit scheinbar zur freien künstlerischen Absicht wird, was die wesentliche Aufgabe des Baukünstlers ist.
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Strassenüberführung der Hochbahn. Architekt: Bruno Möhring in Berlin. |
Wie viel aber davon abhängt, das der Ingenieur — wie dies bei den grösseren Brückenbauten ja bereits zu geschehen pflegt — im Uranfang seiner Thätigkeit eine sprechende Grundform seines Werkes wählt, statt ein starres, auf dem Rechteck beruhendes Stabwerk so lange zu vergrössern oder zu verkleinern, bis es der Rechnung entsprechend stark genug ist, das zeigt schlagend das Viadukt in der Bülowstrasse. Hier ist thatsächlich die Starrheit überwunden, die ganze Fügung ohne weiteres einleuchtend, die Verwirrung vermieden, dafür aber ein bedeutsamer Rhythmus, ein fesselnder Umriss und Aufbau erreicht. Ich stehe nicht an zu behaupten, dass, im Verein mit den weiter unten noch zu würdigenden Bahnhofsbauten, die Bülowstrasse nicht nur nicht „verschandelt“, sondern zur originellsten, interessantesten Strasse geworden ist, himmelweit in allem verschieden von den entzückenden Strassen mittelalterlicher Städte, aber eine echteste und kühne Spiegelung modernen Lebens.
Mittelteil des Geländers an der Ueberführung der Hochbahn über die Ziethenstrasse. Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
Und mit wie Wenigem, verhälnissmässig, ist dieser Eindruck erreicht! Die schrägen Beine des Hochweges sind das wesentlichste ästhetische Moment; sie geben das Trotzige und doch Leichte, das Schwebende der Konstruktion am sinnfälligsten wieder. Dann aber ist es die Ausrundung der Konstruktionsecken, die, namentlich für den inneren Durchblick bei den Quergurten, das starre Exempel zum lebenden Organismus zu wandeln scheint. Ich möchte nur glauben, dass ein körperhaftes Gitter, etwa mit Musterung durchlochtes Eisenblech als freischwebendes Band, noch einen bedeutsameren und mächtiger ausklingenden oberen Abschluss gegeben hätte, während der Erbauer auch noch den letzten Sonnenstrahl für die Strasse retten wollte. Noch nötiger wäre ein solches massegebendes, weniger durchsichtiges Gitter an denjenigen Unterführungen gewesen, wo der Laufsteg dem Blechträger in scheinbar unmotivirter Höhe angenietet worden ist, so dass das Gitter zwar ein anscheinend einheitliches Konstruktionsglied durchschneidet, aber nicht verdeckt. Dies ist namentlich bei der Bellealliancebrücke erkennbar, die überhaupt vielleicht den wundesten Punkt der ganzen Anlage bildet. Hier war ein immerhin bedeutsames Strassenbild durch die Brücke mit ihren Figurengruppen, die beiden Strackschen Thorgebäude und den Durchblick auf die Bellealliancesäule und die Friedrichstrasse gegeben. Es war kein Zweifel, dass die breite Linie der Hochbahn dieses Bild geradezu entzwei schneiden würde. Und sie hat es jetzt derart gethan, dass dabei die beiden stadtseitigen Figurengruppen der Brücke einfach scheinbar geköpft wurden. Dieser krasse Missklang, der wie ganz neuerlichste Verkehrsbrutalität aussieht, muss m. E. auch wirklich noch unter allen Umständen behoben werden. Er lenkt erst die Blicke auch der Harmloseren auf die angerichtete Zerstörung. Die Rücksichtslosigkeit ist nicht viel geringer, als wenn man den Beschauer eines Bildes zwänge, dies durch die Sprossen einer davorgestellten Reinigungsleiter zu betrachten. Wenn auch der Kunstwert, namentlich der westlichen Marmorgruppe, kein geradezu erschütternder ist: Berlin kann, meine ich, nicht dulden, dass alle Welt über diese Art der Figurenaufstellung spotten wird; denn nach zwanzig Jahren wird man nicht mehr gross darum fragen, dass die Hochbahn erst später gekommen ist, sondern einfach den Augenschein sprechen lassen. Ich möchte daher auch so dringlich wie möglich dafür eintreten, dass die beiden Gruppen lieber ganz beseitigt werden; der — Friedrichshain ist ja gross!
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Hochbahnpfeiler und Geländer. |
Architekt: Bruno Möhring in Berlin. |
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Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
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Architekten: Solf & Wichards in Berlin. |
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Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
Eine künstlerische Lösung wäre aber zu finden gewesen. Das Unvermeidliche bezwingt man baukünstlerisch nicht, indem man es möglichst unauffällig macht, sondern indem man es vielmehr geradezu zur Wurzel eines Baugedankens erhebt (siehe Strebebögen und Strebepfeiler). Wurde das alte Bild durch den Hochbahnlauf zerstört, so galt es diese „dicke Linie“ zu einem architektonischen Motiv umzugestalten. Nehmen wir herzu die weitere Bedingung aus den Verkehrsverhältnissen, dass in der ganzen Brückenbreite Stützen zu vermeiden waren, so ergibt sich fast mit Selbstverständlichkeit eine Lösung durch eine hängebrückenartige Konstruktion, deren Pfeiler gerade in der Flucht des Brückengeländers hätten stehen können. Dann wären die Figuten, um 90° gedreht, wahrscheinlich noch sehr wohl als Schmuck dieser Pfeiler möglich gewesen; die Linien der Brücke aber hätten eine Verschönerung des Platzbildes und wahrscheinlich eine sehr reizvolle Ueberleitung zum Bahnhofsaufbau ergeben.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass diese Lösung allerdings einen sehr erheblichen Aufwand erfordert hätte, auch ist nicht zu verkennen, dass man nachträglich seitens der Hochbahn das Möglichste gethan hat, um den unverkennbar grossen und bleibenden Schaden geringer erscheinen zu lassen; davon zeugen die Geländer- und Stützenausbildungen. Namentlich letztere sind an sich ausserordentlich interessant, wenn auch vielleicht schon etwas zu — „bunt“ und daher nicht ein ganz klarer Ausdruck der statischen Funktion.
Hochbahnviadukt in der Gitschinerstrasse. Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
Dass man diesen Ausdruck auch bei ziemlich hoffnungslosen Nutzkonstruktionen mit verhältnismässig wenigen Mitteln noch nachträglich erreichen kann, ist an anderer Stelle geradezu überraschend bewiesen. Auf der Strecke am Cottbuser Thor haben einige der ganz ohne ästetische Rücksichten konstruierten Pfeiler nachträglich eine Kopfdekoration durch wenige Eisenornamente in modernem Linienstile erhalten, die von vorzüglichster Wirkung sind; ebenso ist der breite ungefüge „Galgen“ nahe dem Halleschen Thore am Beginn der Gitschinerstrasse nachträglich durch seitliche krönende Aufbauten in vorzüglicher dekorativer Eisenbehandlung vollständig gerettet, ja zu einem bemerkenswerten architektonischen Motiv umgestaltet worden. Aehnlich wird übrigens auch noch die Hochbahnbrücke über den Kanal bei der Trebbinerstrasse, die z. Z. noch den Eindruck geradezu ängstigender — Sachlichkeit macht, nach mir vorliegenden Plänen durchaus zu künstlerischer Selbstverständlichkeit erhoben werden. Es zeigt sich übrigens bei allen diesen Gestaltungen, dass gerade der Eisenbaukunst die moderne ornamentale Richtung sich ganz besonders gut anschmiegt; beide Teile werden daraus sicher noch ihre Vorteile ziehen; die Ornamentik insofern, als das massige Metall den Ueberschwang der Linien in sichere Grenzen bannen muss.
Auch in dem wichtigsten Problem moderner Baukunst nun aber, in der Verbindung von Eisenbau und Steinbau zeigt die Hochbahn doe erfreulichsten Entwicklungsstaffeln. Die anfängliche Unbekümmertheit um den ästhetischen Eindruck ist eingangs — Bahnhof Warschauerbrücke — erwähnt. Von dort aus ist es wie eine ständige Steigerung. Zunächst in, ich möchte sagen, naiver Form beim Bahnhof Schlesisches Thor. Ein an sich allerliebster, zierlicher und eigenartiger Baukomplex im — „Stil Grisebach“ wird von dem eisernen Hochweg einfach durchschnitten. Dabei ist eine gewisse wirkungsvolle Vermittlung immerhin durch die Fortführung der Bahnsteigüberdachungen in Form von offenen Eisenhallen erreicht, deren Dachstirnen vielleicht, trotz aller Reize des ganzen Bauwerkes, die interessanteste Erfindung, die modernste Lösung desselben bilden.
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Hochbahnpfeiler und Geländer zwischen Potsdamer- und Frobenstrasse. Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
Aehnlichen Prinzipien folgt der kleine Aufgangsbau neben der Gasanstalt an der Prinzenstrasse, der mit verhältnismässig geringen Mitteln eine bezeichnende und reizvolle Lösung der gestellten Aufgabe erreicht.
Bei der Haltestelle Bellealliancebrücke ist an Stelle des unbekümmerten Nebeneinandersetzens der verschiedenartigen Architekturen mit grossem Geschick ein Aneinanderschmelzen der Eisen- und der Steinarchitektur versucht. Letztere fügt sich zunächst unter dem Hochweg ein, wächst dann hervor, um die Treppen aufzunehmen und gipfelt sich, frei ausklingend, vor der eigentlichen Eisenhalle; überall lässt sie dem Eisen die Hauptrolle und führt es nur begleitend über den blossen Nützlichkeitsbau zu festlicher Wirkung empor. Die Schwierigkeiten, die namentlich die Treppenanlagen boten, sind so glänzend überwunden, dass sie kaum noch geahnt werden, und das Ganze ist von einer Eigenartigkeit des Aufbaues, eimen Reiz der Durchbildung in allen Einzelheiten, die hohe Bewunderung verdienen, wenn auch vielleicht noch eine etwas grössere Geschlossenheit der Komposition denkbar wäre.
Von ganz entgegengesetzem künstlerischen Prinzip gehen nun die Stein-Eisenbauten des Westens aus: reinliche Scheidung des kaum Vereinbaren, Betonung des Gegensätzlichen. Nur der Pfeilerbau bleibt dem Stein; im ganzen Maassstab bereits wird er als ganz andersartiger Werkstoff charakterisiert; alles Uebrige ist frei über ihn hingelegter Eisenbau; keine Vermittlung ist versucht. Es kann fraglich bleiben, ob dieser Grundsatz für alle Aufgaben der Zukunft ästhetisch richtiger ist, als der Versuch einer Eingliederung. Hier wirkt er jedenfalls ebenso überraschend als überzeugend. Ueberzeugend, insofern die Bahnhofshallen hierdurch als blosse Erweiterungen des Hochbahnviaduktes charakterisiert werden, was mit Rücksicht auf die Einheitlichkeit des Strassenbildes durchaus richtig ist.
Fussweg unter der Hochbahn von der Ziethen- bis zur Potsdamerstrasse. |
Aufgang zum Bahnhof der Hochbahn „Hallesches Thor“. Architekten: Solf & Wichards in Berlin. |
Die durchschlagende Idee dieser Anordnung liegt in der eigentümlichen Pfeilerausbildung. Die Erhaltung des Mittelganges unter dem Viadukt, der erst an der Blumenthalstrasse, bei der Richtungsveränderung, durch einen übrigens ganz besonders schön gezeichneten Pfeiler in thorförmiger Ausbildung unterbrochen wird, vor allem aber die nach aussen emporgekrümmte Curve, welche die beiden Widerlager der verschieden hoch liegenden Längsträger in Beziehung setzt, ist ein ungemein sprechendes Motiv. Sicher, wie in einer Wiege getragen, liegt der Hochweg, und sein scheinbar rastloses „Hindurchschiessen“ durch die Pfeiler versinnbildlicht durchaus augenfällig den ungehemmten Verkehrsweg. Besonders glücklich wirkt es, dass die Bahnhofsbauten durch solche Pfeileranlagen mit hohen seitlichen Aufbauten bereits vorbereitet werden; besonders glücklich, dass die Curve des Bahnhofshallenprofiles in den Pfeilern scheinbar unten fortgesetzt wird, so dass die Viaduktkonstruktion ganz in die hufeisenförmig nach unten zusammengehende Mündung hineingeschoben erscheint.
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Eingangsthür zum Bahnhof der Hochbahn „Hallesches Thor“. Architekten: Solf & Wichards. |
Von den Hallen selbst ist diejenige an der Potsdamerstrasse mit Recht als ein ungegipfelter Längsbau ausgebildet, da sie neben der Hauptverkehrsader liegt, die auf dem Nollendorfplatz durch einen Kuppelbau gekrönt, damit dem polygonalen Platze eine bedeutsame Mitte gegeben wird. In beiden Bauten ist der Stein oberhalb des Unterbaues nicht mehr als wesentlich raumbildend, sondern nur als Mittel zur Hebung des monumentalen Eindruckes, als versinnbildlichende Steigerung des konstruktiven Grundgedankens verwandt; bei beiden Bauten bewegen sich die Formen auf specifisch modernem Gebiete. Die Ausführung ist z. Z. noch nicht ganz vollendet, so dass der abschliessende Eindruck noch nicht ganz zu gewinnen ist. Er kann aber nur noch befriedigender werden, als er es schon jetzt erscheint. Denn es kommt für die Gesamtleistung wenig in Betracht, dass z. B. der Massstab beim Bahnhof Potsdamerstrasse an einer für die ganz Modernen ja geradezu bezeichnenden, etwas gewaltsamen Uebertreibung leidet. Viele andere Einzelheiten, z. B. die Köpfe an den Obelisken entschädigen trotz ihrer Grösse hierfür. Einige Zwischenpfeiler zwischen beiden Bahnhöfen, die Ornamente an den Hallenwänden bei letztgenannter Haltestelle müssen überdies auch den Lobrednern der alten Ornamentik als ganz ausgezeichnete Leistungen erscheinen. —
Ich habe bisher absichtlich nur das umfangreiche Werk für sich selbst sprechen lassen, das eine Entwicklung aufweist, wie die einer einzelnen bedeutenden künstlerischen Persönlichkeit. Es bleibt mir noch übrig, derjenigen zu gedenken, denen die Verdienste um das künstlerische Gelingen der Anlage zukommen. Von vornherein darf man den Ingenieuren von Siemens & Halske, vorauf dem weitsichtigen Herrn Schwieger, die Anerkennung nicht versagen, dass sie die Aufgabe, auch den künstlerischen Anforderungen gerecht zu werden, mit regstem Eifer und Verständnis aufgefasst haben. Wesentliche Verdienste um das Ganze hat weiterhin Regierungsbaumeister Paul Wittig, der in allen Hochbaufragen an leitender Stelle wirkte und den Weg der Bahn durch die Häuserviertel freilegte. Von ihm rühren ausser dem Haltestellen-Eckbau an der Prinzenstrasse namentlich die Bauten an der Trebbinerstrasse 26, das Gebäude des Kraftwerkes und das Mietshaus mit dem „Hochtunnel“ her, welche, an sich architektonisch durchaus eigenartige Leistungen, weniger in den Rahmen dieser Betrachtung gehören, da sie nicht eigentlich Beiträge zu der Frage einer Verbindung von Eisen- und Steinbauten liefern. Es soll aber nicht zu erwähnen vergessen sein, dass die ebenso bezeichnende als noch kaum dagewesene Idee, den Bahntrakt in oragnischer Weise in ein Wohnhaus übereck einmünden zu lassen, so dass der Bahn, so zu sagen, bei ihrem Verlassen des Strassenlandes ein monumentaler „glänzender Abgang“ gesichert ist, nur dem Eintreten Wittigs zu verdanken ist.
Geländer an der Hochbahn in der Gitschinerstrasse. Architekt: Alfred Grenander in Berlin. |
Von den Bahnhöfen rührt derjenige am Schlesischen Thor im Entwurfe von Grisebach und Dinklage her; den am Halleschen Thor haben Solf und Wichards entworfen; Bruno Möhring, der Vater der vorzüglichen Idee der Steinpfeilerausbildung in der Bülowstrasse, hat auch den Bahnhof Potsdamerstrasse ausgeführt; sein Motiv wurde dann auch von Cremer und Wolffenstein bei deren Entwurf für den Bahnhof Nollendorfplatz übernommen und von Baumeister Grenander für die einzelnen prächtigen Pfeiler in der Bülowstrasse verwertet. Letzterem genialen Zeichner sind auch die „Rettungen“ der Eisenstützen im östlichen Bahntrakte bis zur Gitschinerstrasse zu verdanken. —
Der Berliner hat im allgemeinen wenig Witterung für bahnbrechende neue Gedanken; was ihm nicht unmittelbar verständlich, urteilt er unbarmherzig ab. Aber zuletzt „lernt er um“, wenn man ihm Zeit lässt, siehe die Schätzung Wagners, Hauptmanns u. s. w. Es wird die Zeit kommen, wo er auch auf seine Hochbahn, trotz mancher Fehler derselben, sehr stolz sein wird.
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