Ernst Schur: Alfred Grenander
Moderne Bauformen / Monatshefte für Architektur, 8. Jahrgang, Heft 5 (Mai 1909), S. 193-206, Tafel 32
Das Kulturmaterial Berlins ist noch ungenützt. Es ist in Messels Wertheimbau Form geworden und es ist unendlich zu bedauernm dass nicht eine jener bahnbrechenden, reformatorischen Kräfte der dekorativen Kunst, wie sie den kleineren Zentren geschenkt wurden, in Berlin zur entscheidenden Wirksamkeit kommen durfte.
Der zweiten Generation gelang diese Eroberung besser. Sie kam nicht so programmatisch. Man war auch ein wenig misstrauisch geworden gegen die allzu hohen Verheissungen. Man hatte eine abwartende Stellung eingenommen. Weniger das Zwingende der Persönlichkeit sollte die Erfüllung bringen. Nach und nach wurde das und das in Angriff genommen; von Station zu Station ging der Weg. Man erhoffte nicht mehr das Eine; man probierte das Viele. So kam man von selbst zu einem Eklektizismus, dessen beste Errungenschaft das vielseitige Bedenken, das Nachempfinden, ein variables Zweckmässigkeitsgefühl, das sich den verschiedenen Dingen anpasste, darstellte.
Zu dieser Generation gehört Grenander. Er ist ein nervöses, Einflüssen hingegebenes Talent, das sich zu differenzieren liebt. Einer, der nicht seinen Willen den Dingen aufzwingt; der sich an den Aufgaben erzieht. Statt des Einseitig-Kraftvollen das Elastische, statt des Zwingenden das Suchende, statt des Einen das Suchen unter vielen Möglichkeiten, das Wählende.
So gelingt es diesem Talent, auf einem anderen Wege sich dem künstlerisch untätigen Koloss Berlin zu nähern und Eingang in seinen Organismus zu gewinnen. Er hat Berlin zwei Dinge geschenkt, über die man sich freut, wenn man ihnen begegnet. Nicht Aufrüttelndes, Imposantes. Etwas Apartes, Geschmackvolles, etwas, das mitklingt: die Zeitungskioske und die Untergrundbahn. Die Industrie hat den Instinkt für die Neuwerte der dekorativen Kunst.
Dem Strassenbild ist dadurch eine neue Note eingefügt. Grenander strebt nicht zu einer monumentalen, beherrschenden Form. Seine Art ist nicht so sehr architektonisch, als kunstgewerblich-malerischM er hat etwas Prickelndes, Graziöses in seinen Formen, etwas Apartes in seinen Farben. Er löst die Flächen auf. Berlin hat zwei Seiten: die monumentale und die nervöse. Beide können den Künstler inspirieren. Das Monumentale strebt zur Einheit und überwindet das unruhige Verlierbare durch einen machtvollen Eindruck. Das Nervöse, Vibrierende breitet den Reichtum der Einzelheiten aus. In einem Fall ist der Künstler der Aktive, er zwingt die Vielheit, im anderen Fall führt Biegsamkeit zum feineren Erlauschen und die Dinge selbst kommen unter der feinfühligen Hand des Künstlers reiner, eigener heraus! Monumentalität wird leider oft Protzerei. Diese Gefahr besteht für Grenander nicht, der den falschen Ausdruck immer geschmackvoll vermeidet und gerade in dieser Richtung für Berlin, das einen solchen Künstler braucht, bedeutsam geworden ist.
Stets bedenkt Grenander den Zweck und folgt dem Organischen. Und das ist der Beweis, dass seine mehr passive Note doch das Schöpferische mehrt, das, was die Dinge meistert, formt. Indem er die Untergrundbahnhöfe mit Kacheln auskleidet, gibt er ihnen lichte Erscheinung und suggeriert zugleich das Gefühl der Reinlichkeit. Alles Drückende, Düstere, Schmutzige ist dem Raum genommen. Wenn die Lichter aufflammen, nimmt man wahr, wie fein alles verteilt und bedacht ist. Das macht oft einen märchenhaften Eindruck.
In der Behandlung des Eisens, die aus dem Material lebendige, ausdrucksvolle Form holt, die das Formlose in Rhythmik bannt, hat Grenander eine ganz eigene Schönheit. Das Metall lebt unter seiner fein gestaltenden Hand auf und entfaltet einen suggestiven Reiz; es wird Ausdruck, es lebt. Wienerisch muten die gegitterten Schalter, Bänke und Balustraden an. Die Eingänge erinnern an die bizarrschlichten Formen japanischer Tempelarchitektur.
Das Ganze gibt den Eindruck einheitlicher Gestaltung, deren Note eine sachliche Vornehmheit ist. Alles ist vernünftig bedacht, aus dem Geist des Milieus und des Materials heraus empfunden mit feinem Schmuckempfinden zur eigenen, organischen Form herübergeführt, die mehr ist als die Notwendigkeit.
Ueberall trifft man auch auf eine sehr reizvolle, graziöse Detailbehandlung, die doch das Ganze nicht zerpflückt, sondern es unterstützt, indem die feine Wahl der Verteilung, ohne ins Strikte, Gebundene zu verfallen, einem geheimen Rhythmus zu folgen scheint, der wie ein Pulsschlag das Ganze durchströmt. Speziell die Türen, die Gitter zeigen aparte Metallbehandlung in durchbrochenen, ovalen, runden, geradlinigen Mustern, die immer dekorativ sind. Und so kann man in diese unterirdischen Perrons hinabsteigen und erlebt Sensationen wie im Märchen; man sieht dunkle Gänge, in denen Ungeheuer zu lagern scheinen, mit riesigen glühenden Augen, und plötzlich die Bahnhöfe, schimmernden Palastträumen gleich. Aus dem modernen Geist der Ingenieurkunst ist hier zum ersten Male das Phantastische geholt, das unleugbar darin steckt.
Die Zeitungskioske sind kleine Bijous im Gewühl der Strassen. Man sieht sie aufflimmern wie kleine, japanische Torhäuschen. Die kecken, lustigen Dachformationen erinnern an die Holzarchitektur kleiner schwedischer Kirchen. Alles, was hier so glitzert und leuchtet, ist Materialschmuck und solch Häuschen ist zusammengesetzt wie eine Kostbarkeit. Selbst die Buntheit der Zeitungen und Bücher in der Auslage ist einbezogen in das Ensemble und die farbig aufleuchtenden Reklamen sind so apart oben eingesetzt, dass sie unter dem Rand des Daches ein farbiges Band wie einen Fries bilden. Wie Grenander hier aus dem Kleinen ein Ganzes eigenartig aufbaut, darin zeigt er japanische Art. Das Nervöse, Elegante, Prickelnde und doch so Sachliche dieser Kunst hat ihn beeinflusst. Das ist die dritte Note seiner Kunst.
Phantasie und nervöse Beweglichkeit ist das Signum des Schaffens dieses Künstlers. Insofern passt er in das Getriebe der grossen Stadt, deren Wesen er mannigfaltiger deutet. Er sieht im Gegensatz zum Monumentalen, das ihn weniger anzieht, das Wimmelnde, Wachsende, Flirrende, das sich in tausend Einzelheiten auflösende Phantastische. Indem er sich an sachlichen und grossen Aufgaben erzieht, trägt er in das Leben der Stadt ein neues Element, das Kulturwert besitzt. Und in dieser Beziehung scheint ihm noch eine Entwicklung bevorzustehen, die sein eigentliches Wollen erst recht charakteristisch entfalten wird. Und indem er sich eine Schar tüchtiger Schüler heranzuziehen versteht, beweist er, dass sein Wille darauf gerichtet ist, die Art des Schaffens dauernder mit der Grossstadt, mit der Gegenwart zu verbinden. Er gewinnt damit einen Einfluss, der in manchen Fragen von Kulturwert entscheidend sein wird und das ist gerade für Berlin sehr wertvoll.
Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Stützenkopf im Bahnhof Bismarckstrasse
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Vorraum des Bahnhofes Wilhelmsplatz in Charlottenburg
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Teilansicht von dem Bahnhof am Wilhelmsplatz in Charlottenburg |
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Teilansicht von dem Bahnhof am Wilhelmsplatz in Charlottenburg |
Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Bahnhof Reichskanzlerplatz
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Eingang zum Bahnhof am Reichskanzlerplatz |
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Eingang zum Bahnhof an der Bismarckstrasse |
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Eingang zum Bahnhof am Kaiserdamm |
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Elektr. Hoch- und Untergrundbahn in Berlin: Eingang zum Bahnhof am Sophie Charlotten-Platz |
Das Haus des Künstlers in Falsterbo in Schweden
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Diele in dem Hause des Künstlers in Falsterbo
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Landhaus in Nikolassee bei Berlin: Diele
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Landhaus in Nikolassee bei Berlin: Grundrisse
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Landhaus in Nikolassee bei Berlin
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Landhaus in Nikolassee bei Berlin
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Zeitungskiosk am Zoologischen Garten in Berlin |
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Zeitungskiosk am Stuttgarter Platz in Berlin |
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Zeitungskiosk am Viktoria Luise-Platz in Berlin |
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Zeitungskiosk am Knie in Charlottenburg |
Haus in Wilhelmshagen bei Berlin
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